Die Digitalisierung der Stadtverwaltung ist ein vielschichtiges Projekt auf vielen Ebenen. Teilweise wird durch die Pandemie der Handlungsdruck erheblich verstärkt: Wo Kontaktminimierung die Maxime der Zeit ist, setzte unser Änderungsantrag beim Ursprungsantrag ‚Leitbild „Erfurt – Stadt der Zukunft“ Digitalisierungsstrategie für die Landeshauptstadt Erfurt‘ an. Von März bis Mai fielen viele dieser Gremien einfach aus. In der aktuellen Situation im Herbst/Winter 2020/2021 drohen erneut Ausfälle von Sitzungen, weil nicht genügend Räume mit den entsprechenden Abständen zur Verfügung stehen oder das Infektionsgeschehen es nicht zulässt. Auch Menschen, die zur Risikogruppe gehören sollen grundsätzlich nicht deswegen Beiräten oder Gremien fernbleiben müssen, eine Hybrid-Lösung sehen wir hier als geeignet an.
Aber nicht nur Kontaktminimierung spielte bei unseren Überlegungen eine Rolle. Im Kern geht es auch um Vereinbarkeit von ehrenamtlichen Mandaten oder Aufgaben in Gremien mit dem beruflichen und familiären Leben der Engagierten. So sah unser Antrag ursprünglich vor, den Oberbürgermeister mit einer Konzeptentwicklung zu beauftragen, wie Beiräte, Gremien und Ausschüsse digital abgehalten werden können.
Die Stellungnahme der Verwaltung und der Austausch im Stadtrat machten dabei verschiedenen Hürden sichtbar. Die wohl größte Hürde ist die Unvereinbarkeit mit der Thüringer Kommunalordnung für digitale Sitzungen von Ausschüssen. Sie seien satzungsrechtlich gebundene Gremien und hier fehle die Ermächtigungsvorschrift in der Thüringer Kommunalordnung.
Digitalisierung versus Thüringer Kommunalordnung
Gemäß § 44 ThürKO ist hier vor allem die Rechtsfähigkeit der Beschlüsse ein großes Thema, die nicht juristisch sicher gefällt werden können. Dann greift der Wortlaut: „Hält der Bürgermeister eine Entscheidung des Gemeinderats oder eines Ausschusses für rechtswidrig, so hat er ihren Vollzug auszusetzen und sie in der nächsten Sitzung, die innerhalb eines Monats nach der Entscheidung stattfinden muss, gegenüber dem Gemeinderat oder dem Ausschuss zu beanstanden. Verbleibt der Gemeinderat oder der Ausschuss bei seiner Entscheidung, so hat der Bürgermeister unverzüglich die Rechtsaufsichtsbehörde zu unterrichten. Gegen die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde kann die Gemeinde Klage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erheben. Das Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 VwGO entfällt.“
Konkret bedeutet das für Entscheidungsverfahren, das Ergebnisse juristisch anfechtbar wären. Das wäre ein fataler Zustand, denn es bedeutet letztlich zusätzliche Zeit (der Verfahrensprozess für eine Entscheidung muss neu geplant und durchgeführt werden) sowie Folgekosten für die Verwaltung – und damit die Steuerzahler*innen.
Nachdem dieser Umstand geklärt war, lies Sebastian Perdelwitz den Beschlusspunkt ändern in: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt bis zum Ende des IV Quartal 2020 ein Konzept zu entwickeln, wie Beiräte und Gremien digital abgehalten werden können.“ – diesem Beschlusspunkt wurde mit 25 Stimmen zugestimmt und er dann insgesamt mit dem Antrag von CDU und SPD verabschiedet, also angenommen.
Was heißt das jetzt für die Digitalisierung?
Gremien wie die Straßennamenkommission, der Beirat für Hochschulen und Studierende, der Beirat für Menschen mit Behinderungen, der Senior*innenbeirat oder andere sollen bis zum Ende des Quartals ein Konzept erhalten, wie sie hybrid oder gänzlich digital stattfinden können. Die Stadtverwaltung hat bereits ein eigenes Videokonferenz-Tool entwickelt. Dessen sicheren Gebrauch und das Verfahren als solches gilt es konzeptionell, und damit schnell einsetzbar für Mitarbeiter*innen oder Ehrenamtliche in den Gremien, zu entwickeln und verbindlich festzulegen, wann es sofort zum Einsatz kommen kann (muss). Ob per Flow-Chart oder als Handbuch für die Nutzer*innen, da gibt es viele Möglichkeiten. Die Stadtverwaltung hat bereits in ihrem Weiterbildungspool online erklärt wie Mitarbeiter*innen das Tool anlegen und virtuelle Räume errichten können, es fehlte bisher ein Konzept zur strategischen Einsetzung für die Gremien und Beiräte sowie an der Transparenz zum Gebrauch für die externen Anwender*innen.
Für uns als Fraktion ist es selbstverständlich, dass Sitzungen, wenn sie im realen Leben nicht stattfinden können, umgehend digital abgehalten werden, damit politische Prozesse nicht ins Stocken geraten. Es braucht in dem Konzept auch hybrid Wege für Menschen, die entweder keinen Zugang zum Web oder der entsprechenden Technik haben. Wir müssen digitale und reale Wege noch parallel denken, um alle auf diesem Prozess mitzunehmen.
Wir gehen davon aus, dass es das einheitliche Verfahren dafür im Januar geben wird. Bisher finden die Beiräte und Gremien noch nicht selbstverständlich digital oder hybrid statt, hier wollten wir eine zügige Änderung im Geschäftsablauf des Stadtrates anstoßen – das ist uns zum Teil, mit Ausnahme der Ausschüsse, gelungen.
Wie können die Ausschüsse nun digitalisiert werden?
Hier hat der Oberbürgermeister versprochen, das Thema in der nächsten Dienstberatung aufzugreifen. Die Thüringer Kommunalordnung ist derzeit in einem Änderungsprozess – die Fraktionen mit Draht zur Landespolitik könnten diesen Prozess zusätzlich befördern. Hier werden wir Gespräche suchen, denn als Fraktion einer Wähler*inneninitiative verfügen wir nicht über eine Partei-Struktur die bis in diese föderalen Strukturen reicht.
Bürger*innen konnten den Entwurf der Novelle der Thüringer Kommunalordnung bis zum 18.09.2020 diskutieren im Forum des Landtags. Diese sieht derzeit vor: „Ferner sollen künftig in Ausnahmefällen Sitzungen kommunaler Volksvertretungen als Telefon- oder Videokonferenz möglich sein. Sofern auch dies nicht möglich sein sollte, sollen perspektivisch Abstimmungen im Umlaufverfahren gestattet sein, wenn vier Fünftel der Mitglieder des Gemeinderats oder Kreistags damit einverstanden sind.“ Es liegen aktuell drei Fassungen vor, wir stellen die Bereiche zur Digitalisierung kur vor:
Der Gesetzesentwurf der FDP möchte Paragraph 36 ergänzen um: „(4) Sind Sitzungen nach Absatz 1 aufgrund von Ausnahmefällen wie Katastrophen nicht oder nur unter der Gefahr für Gesundheit oder Leben der Teilnehmer möglich, können diese im Wege einer Telefon- oder Videokonferenz abgehalten werden. Bringt die Durchführung einen unverhältnismäßigen Aufwand mit sich, ist im Ausnahmefall eine Abstimmung im Umlaufverfahren möglich, wenn sich vier Fünftel der Mitglieder des Gemeinderates damit einverstanden erklären. Die nach diesem Absatz getroffenen Entscheidungen sind dem Rat in der nächsten Sitzung zur Bestätigung vorzulegen.“
Der Entwurf der Fraktion CDU schlägt folgende Änderung in § 39 vor: „(1) Beschlüsse des Gemeinderats werden mit der Mehrheit der auf Ja oder Nein lautenden Stimmen gefasst, soweit nicht durch Gesetz eine andere Mehrheit vorgesehen ist. Bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt. Stimmenthaltungen sind zulässig. Bei der Beschlussfassung wird offen abgestimmt. Der Gemeinderat kann geheime Abstimmung beschließen. Beschlüsse des Gemeinderats sollen in Sitzungen gefasst werden. Durch die Hauptsatzung kann bestimmt werden, dass in besonderen Ausnahmesituationen Beschlüsse des Gemeinderats in digitaler Sitzung gefasst werden, sofern eine Beratung und Beschlussfassung durch zeitgleiche Übertragung von Bild und Ton mittels geeigneter technischer Hilfsmittel, insbesondere in Form einer Videokonferenz, möglich ist. Besondere Ausnahmefälle im Sinne des Satzes 7 sind insbesondere Katastrophenfälle und Pandemien.“
Der Gesetzesentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN behandelt die Digitalisierung der Ausschüsse in § 36, der wir geändert werden soll in: Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 1 a eingefügt: „(1 a) Ist es dem Gemeinderat aufgrund einer besonderen Ausnahmesituation unmöglich, zu einer Sitzung nach § 35 zusammenzutreten, kann er die Beschlüsse über Angelegenheiten, die nicht bis zur nächsten Gemeinderatssitzung aufgeschoben werden können, auf Antrag eines Mitglieds des Gemeinderats in einem elektronischen oder schriftlichen Verfahren fassen. Besondere Ausnahmesituationen im Sinne des Satzes 1 sind: 1. Katastrophenfälle nach § 34 des Thüringer Brand- und Katastrophenschutzgesetzes, 2. Pandemien, 3. Epidemien, 4. sonstige Fälle höherer Gewalt. Der Beschlussfassung durch ein elektronisches oder schriftliches Verfahren muss mindestens die Hälfte der Mitglieder des Gemeinderats zustimmen. Die Mitglieder des Gemeinderats geben ihre Zustimmung nach Satz 3 und ihre Stimme über die betreffende Beschlussvorlage in Textform ab. Für die Beschlussfassung gelten im Übrigen die gesetzlichen Bestimmungen über die erforderlichen Mehrheiten in Sitzungen. Der Bürgermeister hat die Gemeinderatsmitglieder unverzüglich über die in diesem Verfahren gefassten Beschlüsse zu unterrichten.“
Wir vernehmen Lösungsansätze in den oben genannten Gesetzesentwürfen bei den Fraktionen und werden das Thema weiter angehen im Rahmen unserer Möglichkeiten als Fraktion im Stadtrat Erfurt.