Seit 2019 haben wir als Fraktion Mehrwertstadt im Erfurter Stadtrat verschiedene Anfragen zum Sozialen Wohnungsbau und Wohnraum in der Landeshauptstadt gestellt. Dies war nötig, weil es kaum aktuelle und öffentliche Statistiken zu dem Thema gibt und für das politische Handeln eine umfassende Basis benötigt wird. Die Zahlen sind leider nicht so gut. Das ist in vielerlei Hinsicht aber auch erkenntnisreich.
Wir wissen nun, dass aufgrund der aus der Förderung fallenden Wohnungen bis 2025 ein großes Loch in den Bestand des öffentlich geförderten Wohnungsbaus gerissen wird und dies durch aktuelle Projekte lediglich ausgeglichen werden kann. Aus der Förderung fallende Wohnungen sind aber auch keine neue Erkenntnis. Der erschreckend niedrige Anteil von preisgebundenen Wohnungen am gesamten Erfurter Wohnungsmarkt wird bestehen bleiben, wenn nicht zusätzliche und effektivere Instrumente zum Einsatz kommen. Von 2015 bis 2019 wurden keine, im Jahr 2020 ganze 25 Wohneinheiten (WE) öffentlich gefördert gebaut (vgl. DS 2641/19).
Anlass zu Sorge beim Wohnraum?
Laut der Wohnungs- und Haushaltsumfrage der Stadt Erfurt im November 2021 verfügen 48 % der Befragten über ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.000 bis unter 2.500 Euro (vgl. Wohnungs- und Haushaltserhebung 2021, S. 24). Das bedeutet bei einem empfohlenen Mietkostenanteil von 30 % am Nettoeinkommen, dass die Miete für diese Bevölkerungsgruppen 300 bis 750 Euro betragen darf, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Dort sind weitere Faktoren wie benötigte Räume durch Haushaltsgrößen oder Quadratmeter nicht mit einbezogen. Die Anfragen der Mehrwertstadt in den letzten zwei Jahren geben Anlass zur Sorge, da sich für viele Menschen in unserer (Stadt-)Gesellschaft die Wohnungssuche und die Finanzierung ebenjener vom erwirtschafteten Lohn zu einer ernstzunehmenden Schwierigkeit entwickelt hat.
Förderungen auf Bundes- und Landesebene im Wohnungsmarkt
Zusätzlich sind Kommunen auch immer von den Förderungen des Bundeslandes abhängig, um den Eigenanteil und die Haushaltsbelastung möglichst gering zu halten. Thüringen hat angekündigt, 50 Millionen Euro für den öffentlich geförderten Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. „Wir haben als Stadt viel Energie investiert, um das Wohnbaulandmodell auf den Weg zu bringen und dies auch vertraglich mit Investoren bei Bauvorhaben zu verankern. Die Umsetzung darf nun nicht am fehlenden Geld scheitern“ (Sebastian Perdelwitz, Pressemitteilung, 21.10.2021).
1,5 % öffentlich geförderter Wohnraumbestand in Erfurt
Das ist der aktuelle Anteil des Sozialen Wohnungsraumes an dem gesamten Wohnungsbestand. Die Zahl setzt sich aus 1.713 preisgebundenen Wohnungen (vgl. DS 2469/21) und einem Wohnungsbestand von insgesamt 110.912 Wohneinheiten (WE) zusammen (vgl. Stadt Erfurt, Stand 2019). Der Anteil verdeutlicht die Fehlentwicklung in den letzten Jahren. Leider konnte auch das Erfurter Wohnbaulandmodell die Entwicklung nicht aufhalten. Durch die extrem weit geöffnete Schere zwischen Wohnraum auf dem freien Markt und dem angebotenen preisgebundenen Wohnraum benötigt Erfurt eine deutlich höhere Quote als die bisher verpflichtenden 20 Prozent ab 3500 m² Wohnraumfläche für Neubauprojekte. Die 20 Prozent sollten mindestens als Gesamtbestand fixiert werden.
Warum es einen höheren Anteil von preisgebundem Wohnraum in Erfurt braucht
Um den Rückstand aufzuholen, brauchen wir weitere Instrumente und einen höheren Anteil von preisgebundenem Wohnraum in zukünftigen Wohnungsbauprojekten. Denn zusätzlich fallen in den nächsten drei Jahren 963 aus der Preisbindung heraus. Dem gegenüber stehen mindestens 303 WE, die sich aktuell in Planungs- und Beschlussprozessen befinden (vgl. DS 0128/20). Zur Wahrheit gehört auch, dass noch Großprojekte wie das Wohngebiet Östliche Greifswalder Straße mit 60.000 m² Wohnfläche oder die Hangkante Ringelberg mit 43.000 m² und 20 % Anteil an öffentlich gefördertem Wohnraum noch einen gewissen Beitrag leisten werden. Aber hier geht es lediglich um Ausgleich von preisgebundenem Wohnraum, der auf den freien Markt übergeht, und nicht um einen Anstieg des Anteils am gesamten Wohnungsmarkt.
Räumlich stark konzentrierter preisgebundener Wohnraum
Nach der Feststellung des zu geringen Anteils von preisgebundenem Wohnraum im Erfurter Wohnungsmarkt bedarf es zuerst einer räumlichen Analyse unter Berücksichtigung von Eigenschaften des Wohnraums. Dazu dienten bisher vier Indikatoren: die Standorte des Sozialen Wohnungsbaus, Raumanzahl der Wohnungen, die Wohnungsgröße und die Eigentümer:innen. Wichtig hierbei ist, dass es nur ein Zwischenstand unserer Recherche ist und wir noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Jedoch ermöglichen diese vier Indikatoren eine erste Einschätzung. Es gibt zwei positive Feststellungen in der bisherigen Analyse. Die eine ist, dass der öffentlich geförderte Wohnraum relativ zentral auf die Stadtteile Altstadt, Löbervorstadt, Brühlervorstadt, Wiesenhügel, Roter Berg, Berliner Platz, Ilversgehofen, Bischleben und Kerspleben verteilt ist. Der zweite positive Aspekt ist, dass mit 64 % der größte Anteil der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Erfurt mbH (KoWo) gehört und somit indirekt im städtischen Eigentum ist.
Die KoWo ist aber nur in drei der 9 Stadtteilen als Eigentümerin vertreten. Diese sind ebenfalls die Stadtteile mit dem höchsten Bestand. Besonders der Stadtteil Wiesenhügel sticht hier mit 711 WE heraus. Das sind 9 % des gesamten öffentlich geförderten Wohnungsbestandes in Erfurt, konzentriert auf einen Stadtteil. Eine Statistik, die als Aufhänger für eine Debatte über Segregation dienen kann. Zusammen mit dem Roten Berg weisen die beiden Plattenbaugebiete einen Anteil von 58 % des Sozialen Wohnungsbaus aus. Danach bewegen sich die Stadtteile Altstadt und die Krämpfervorstadt mit jeweils 14% und Berliner Platz mit 9 % und über 200 WE in ähnlichen Größenordnungen.
Positiv zu bewerten ist, dass die Altstadt und Krämpfervorstadt als zentrale Stadtteile mit in der oberen Hälfte auftauchen. Stadtteile wie die Brühlervorstadt, die Löbervorstadt oder auch Ilversgehofen machen nur einen sehr niedrigen Anteil am Sozialen Wohnungsmarkt in Erfurt aus und tragen zusammen nicht einmal 4 % bei. Auffällig hier ist, dass das besonders beliebte und auch teure Stadtteile sind. Ilversgehofen befindet sich in einem starken Gentrifizierungsprozess.
Mit circa 86 % sind die Wohnungen bis 45 m², bis 65 m² und bis 75 m² vertreten. Ob dies gut oder schlecht ist, hängt immer auch von der Nachfrage ab. Zum Beispiel: Wie viele Familien suchen auf diesem Teilmarkt des Wohnungsmarktes eine Wohnung? Hierzu gilt es unter anderem zu überprüfen, ob sich die demographischen Entwicklungen auf dem gesamten Wohnungsmarkt, also die Verkleinerung der Haushalte, auch im Teilmarkt des Sozialen Wohnraums wiederfinden lassen. 1-Raum, 2- Raum und 3-Raum-Wohnungen sind mit 89 % am stärksten im Segment des preisgebundenen Wohnraums vertreten. Dies verläuft somit relativ logisch entlang den Verhältnissen der Wohnungsgrößen nach m². Der Stadtteil Wiesenhügel hat als Standort für 1-Raum, 2-Raum, 3-Raum und 5-Raum-Wohnungen den mit Abstand deutlichsten Anteil in den jeweiligen Kategorien. Auch hier ist die Konzentration des eh schon geringen preisgebundenen Wohnraums sichtbar.
Wie kann uns diese Mammutaufgabe gelingen?
Diese deutlichen Konzentrationen des Sozialen Wohnraums in Erfurt in den unterschiedlichen Betrachtungsweisen fördern Segregation und Ungleichheiten im räumlichen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum. Gepaart mit dem deutlich zu niedrigen Gesamtanteil des Sozialen Wohnungsbaus am Wohnungsmarkt muss an der quantitativen Erhöhung und der gerechten Verteilung der Wohnungen im preisgebundenen Sektor gearbeitet werden. Hierzu sind Instrumente nötig, die das Baulandmodell erweitern und vervollständigen. Diese müssen auf Grundlagen und Bestandsanalysen in politische Gestaltungsprozesse eingebracht und zur Umsetzung beschlossen werden.
Hier geht die Arbeit der Mehrwertstadt weiter. Weitere Analysen werden folgen. Auf deren Erkenntnissen werden wir Schlussfolgerungen ziehen und Instrumente entwickeln, die Erfurt einen breiten Instrumentenkoffer für die Schaffung einer ausreichenden Anzahl an Sozialem Wohnraum und einem Konzept der gerechten räumlichen Verteilung für mehr Teilhabe an der Stadtgesellschaft ermöglicht.
Wir werden euch weiterhin über unsere Arbeit zu diesem Thema informieren. Demnächst wird es einen Artikel zu Beispielen möglicher Instrumente und den Umgang anderer Städte zur Schaffung von preisgebundenem Wohnraum geben.
Ungeduldige können bereits den Bericht von Birgit zu ihrer Bildungsreise nach Wien unter dem Motto „Ist Wohnen ein Menschenrecht?“ durchlesen.
Diesen Beitrag schrieb für euch: Michael Ilsemann, ehrenamtlich aktiv für uns im Beteiligungsrat und im Berufsleben Stadtplaner.