ein Beitrag zu Spielraum und Regularien von sozialem Wohnungsbau. Erstellt von Michael Ilsemann, Mitglied für Mehrwertstadt im Beirat für Beteiligung, von Beruf Stadtplaner. Das Thema sozialer Wohnungsbau liegt ihm daher besonders am Herzen. In einem ersten Artikel „Öffentlich geförderter Wohnraum in Erfurt wie die Nadel im Heuhaufen“ hat Michael bereits die Antworten der Verwaltung auf unsere Anfragen zum sozialen Wohnraum in Erfurt untersucht.
Sozialer Wohnungsbau als Herausforderung
Sozialer Wohnungsbau ist nicht nur in Erfurt eine Herausforderung. Auch andere Städte kämpfen mit einem nicht ausreichenden Angebot an bezahlbaren Wohnraum. Vor allem in Ballungsräumen ist dies ein großes Problem. Deswegen lohnt sich aber ein Blick auf andere Städte und deren Instrumente zur Schaffung von öffentlich gefördertem Wohnraum. Hierbei wagen wir einen Blick auf Hamburg, München und Ulm. Außerdem wird noch einmal das Erfurter Baulandmodell erklärt und welche Ansätze es sonst noch gibt. Wien, als besonderes Beispiel, wird explizit nicht betrachtet. Allerdings können sich Interessierte hierzu den Reisebericht zum sozialen Wohnraum in Wien von Birgit durchlesen.
Die Freie Hansestadt Hamburg und der Drittelmix
Hamburg verfolgt seit einigen Jahren bereits den sogenannten „Drittelmix“. Dieser schreibt für Neubauprojekte oder Vorhaben, für die der Bebauungsplan geändert werden muss, einen gedrittelten Anteil an öffentlich gefördertem Wohnraum, freifinanziertem Wohnraum und Eigentumswohnungen vor. Der „Drittelmix“ muss ab 30 Wohneinheiten Anwendung finden.
Nachteile sind die genannten Voraussetzungen, was bedeutet, dass nicht alle Bauprojekte diesen Auflagen unterliegen. Außerdem wird bemängelt, dass die öffentlich geförderten Wohneinheiten deutlich weniger Quadratmeter aufweisen und somit der Anteil deutlich geringer ist, als es bei der Betrachtung der Wohneinheiten suggeriert wird.
Ist München radikal bei sozialem Wohnungsbau?
München besitzt seit 1994 die „Sozialgerechte Bodennutzung“ (SoBoN) und machte mit einer Verschärfung durch einen Stadtratsbeschluss letztes Jahr auf sich aufmerksam. Der Beschluss hat das Ziel den Anteil von öffentlich gefördertem Wohnraum auf 60 Prozent an Wohnungsbauvorhaben zu erhöhen. Konkret regelt der Beschluss eine Bindungsdauer von 40 Jahren für alle gebauten Wohnungen. Das heißt auch freifinanzierte und preisgedämpfte Wohnungen können nicht auf weiteres bei Neuvermietung erhöht werden. Dies stößt bei den Wohnungsbauunternehmen natürlich auf viel Kritik.
Die SoBoN gibt ein Punktesystem vor, in dem Bauherr:innen mindestens 100 Punkte erreichen müssen, um Baurecht zu erhalten. Hierzu kann sich aus einem Baukastensystem bedient werden, mit dessen Themenbereich diese Punkte erreicht werden können. Alternativ kann das Grundmodell angewandt werden. Also kann sich jede:r Bauherr:in aussuchen, ob die Punkte durch individuelle Kriterien erreicht werden oder dem Grundmuster gefolgt wird. Im Grundmodell wird zum Beispiel jede:r Investor:in mit 175 Euro je gebauten Quadratmeter an der Schaffung von sozialer Infrastruktur beteiligt. Alternativ kann bei Nichteinhaltung der Quote 50 Prozent der Fläche an die Stadt München zu einem Preis unter dem Marktniveau verkauft werden. Zurzeit gilt dieses Konzept in Deutschland zur Schaffung von öffentlich gefördertem Wohnraum am radikalsten. Deswegen wird es in den nächsten Jahren besonders spannend, wie sich die Maßnahmen auf den Wohnungsmarkt in München auswirken.
Ulm – sozialer Wohnungsbau mit einer 100 jährigen Strategie
Die Stadt Ulm wendet eine 100 Jahre alte Strategie an, mit der sie es bisher geschafft hat, den Markt einigermaßen zu kontrollieren und für ein gewisses Preisniveau gesorgt hat. Durch die Nutzung des kommunalen Vorkaufsrechts ist die Stadt Ulm in Besitz von 30 Prozent der Grundstücksflächen. Hierbei kauft die Stadt vor allem unbebaute Baufelder. Der Kauf und Weiterverkauf der Grundstücke ermöglicht es der Stadt, einen Anteil von 30 Prozent Wohnungsbau unter dem Mietspiegel festzulegen. Dies wird in der Regel durch städtebauliche Verträge als Anlage zum Kaufvertrag festgehalten. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Grundstücke zu einem günstigen Preis verkauft werden können, was weniger Einfluss für Investor:innen und mehr Regulierung auf den Wohnungsmarkt nach sich zieht. Dies passiert allerdings nur in Stadtteilen, in denen Bauland ausgewiesen wird, ist also kein flächendeckendes Mittel.
Um Spekulationen zu vermeiden, untersagt Ulm den unbebauten Weiterverkauf der Grundstücke. Sollte das Grundstück nicht bebaut werden, muss es wieder an die Stadt zum Verkaufspreis zurückgehen. Gewinne aus Grundstücksverkäufen werden konsequent für weitere Ankäufe zurückbehalten und im Haushalt entsprechend dem Liegenschaftsamt zugewiesen.
Jena strebt ein Modell mit Orientierung an dem Ulmer Modell an, da die Mietpreise in den letzten Jahren in der Stadt extrem gestiegen sind.
Erfurter Baulandmodell – ein Versuch sozialen Wohnraum zu fördern
Das Erfurter Baulandmodell sieht eine Regelung für alle Vorhaben innerhalb eines Bebauungsplanverfahrens vor, sobald eine Wohnfläche von 3.500 Quadratmeter gebaut wird. Außerdem müssen Investor:innen die Kosten für die Herstellung von Plätzen in Kindertagesstätten tragen, sobald ein Mehrbedarf besteht, der die Planungen übersteigt. Allerdings wird dies erst ab 60 Plätzen relevant. Wie wir in dem vorangegangen Artikel aber bereits beschrieben haben, reichen die genehmigten Vorhaben nicht aus, um den Anteil des öffentlich geförderten Wohnraums zu erhöhen. Es wird lediglich der vorhandene niedrige Anteil gesichert.
Was können wir also in Erfurt tun um sozialen Wohnungbau wirklich zu sichern?
Die unterschiedlichen Herangehensweisen zeigen, dass es nicht den einen Weg gibt, der die Frage des bezahlbaren Wohnraums löst. Viel mehr gibt es viele Möglichkeiten die Rahmenbedingungen zu gestalten.
Hierzu ist auch der Bund gefragt. Ein möglicher Ansatz ist es, die Subjektförderung, also Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein, zur Objektförderung umzuwandeln. Das bedeutet, dass die Wohnungen ganz speziell für günstige Preissegmente vorgesehen sind und Vermieter:innen für die Umwandlung in eine Gemeinwohlwohnung Förderung und Subventionen erhalten. Dieser Ansatz bezieht auch Bestandwohnungen ein, was auch wiederum Menschen anspricht, die ein Haus besitzen und so zum Beispiel ihre Altersvorsorge aufbauen. Dies würde dann über Steuervergünstigungen funktionieren. Dazu bedarf es keinen Mehraufwand, sondern wird über die Finanzämter mit abgerechnet. Wer sich für dieses Prinzip interessiert, kann sich die Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Sozialer Wohnungsbau, Wohnungsgemeinnützigkeit und Gemeinwohlwohnungen durchlesen:
In Erfurt haben wir das Glück, eine kommunale Wohnungsgesellschaft als Akteurin auf dem Wohnungsmarkt zu haben. Ein erster Ansatz wäre, die KoWo einzubeziehen und ein Konzept für eine Bauoffensive in dem preisgebundenen Sektor zu schaffen.
Wir sollten die Möglichkeit, kommunale Bestände aufzubauen, nutzen und für die Zukunft einen standfesten Wohnungsmarkt gestalten, der auch wirtschaftliche Krisen oder Fluchtbewegungen einplant. Denn geflüchtete Menschen sind oft auf preisgünstige Wohnungen angewiesen. Die aktuelle globale Situation zeigt uns aber, dass Klimawandel und politische Machtverhältnisse die Menschen in Bewegung setzen. Darauf sollten wir vorbereitet sein, um allen Menschen ein würdevolles Leben mit einer bezahlbaren Wohnung zu bieten. Dies gilt für die gegenwärtig hier lebenden Menschen und die, die in Erfurt ein Zuhause suchen werden.
Dieser Beitrag entstand als Überblick und Meinunsgbild von Michael. Aktuell ist Erfurt noch mitten in der Debatte darum, wie sozialer Wohnungsbau weiterhin gefördert und dauerhaft gesichert werden kann. Du hast einen Hinweis dazu für Micha oder die Fraktion? Schreib uns gern einen Kommentar oder maile uns an mehrwertstadt@erfurt.de
Am 03. August erschien ein Beitrag in der Thüringer Allgemeinen Zeitung, dass die Sozialwohnungsquote in Erfurt weiter sinken soll.
In einer Pressemitteilung am 04. August 2022 stellte Jana Rötsch klar, dass sozialer Wohnungsbau in Erfurt keine Symbole braucht sondern effiziente Methoden zur Sicherung von sozialem Wohnraum.